Wien am 11ten Juny 1828. uhm 5 Uhr der Frühe.
Vielgeliebte, Theure Frau Schwester!
Ich weiß den heutigen schönen, heutren Morgen nicht angenehmer und fröhlicher zu zubringen, als sich in schrieftlicher Mittheilung mit Dir gute Josephine zu unterhalten, weil all diejenigen Augenblicke in welchen ich mich mit Dir und Euch Allen, meine Theuren, beschäftige, für mich stäts die glücklichsten sind; denn Du weißt es nicht, wie unaussprechlich groß meine Liebe zu Dir ist. Die Vorstellung von Euch Viern jemahls eins Verlieren zu müssen, ist auf dieser Welt für mich der schrecklichste Gedanke, und würde mich um alle Lebensfreuden bringen, darum möge der Allgüttige uns noch lange in stätten Wohlergehen vereinigt lassen.
Ich bin im Besitz Deines Werthen von 24t. May und würde Dir allsogleich geantwortet haben, wenn anders es mir möglich gewesen wäre, jedoch konnte es nicht sein, wie Du aus meinen Brief an den Vater wirst entnommen haben. Deine zärtliche Besorgniß hinsichtich des Reitens ist ganz ungegründet, und ich ersuche Dich in Zukunft ja diesfals ganz ohne Furcht zu sein, indem ich so selten ausreite, und dabei stäts sehr behutsam bin. Eure neue Loge wird nach Deiner Beschreibung recht schön aussehen ich wünsche sehnlichst, daß der Vater alles nach Deinen Geschmack herstellen ließe. Wie freue ich mich bei meiner Rückkunft Dich so nahe bei mir zu wissen, wir wollen alsdan nur eine Familie ausmachen.
Ich hoffe, daß Dich diese Zeilen noch vor der Abreise ins Baad antrefen werden, und wunsche Dir und der Mutter eine glückliche Hinreise, möge es für Euch beide von guter Wirkung sein, und Euch eine vollkommene feste Gesundheit verschaffen. //2
Deine kleine anbefelene Comission habe ich nach meiner schwachen Einsicht gut zu besorgen gesucht so viel es mir möglich war, und habe selbes der Glasküste beigepackt um Dir das Postporto zu erspahren, Du wirst es ohne zweifel noch vor Deiner Abreise erhalten. Den kleinen Betrag wirst Du aus beiligenden Notten ersehen. Habe ich in etwas Deinem Geschmacke entsprochen und stünde Dir sonst etwas zu wünschen übrig so bin ich ganz zu Deinen Dienst mit vielen Vergnügen bereit. Ich elaubte mir Dir auch ein kleines Nähküssen einzusenden, damit Du es zu Deiner Bequemlichkeit mit ins Baad nehmen könntest. Behalte es als einen geringen Beweis meiner Liebe, und gedenke zu weilen dabei Deines entferten Valentin.
Du wirst mir wohl von Neuhaus361 aus schreiben, und mir anzeigen wie ich die Adresse an Dich zu machen habe?
Übst Du Dich noch fleißig auf den Fortepiano? Ich habe nun, da der vorige Lehrer oft monathweis ausblieb, einen andern Guittar Meister mir genommen, der mir regelmässig 3 Stunden in der Woche giebt, und ein wirklicher Künstler auf diesen Instrum[en]t ist. Alles was ich spiele ist von seinerComposition, und sein Stücke finden allgemeinen Beifall. Vor einigen Wochen habe ich auch den Paganini spielen gehört, ich mußte schon um ½ 4 Uhr ins Burgtheater gehen und bekam mit größer Mühe im 3te Stock knab362 an der Mauer einen Platz zum stehen. Jedoch wurde ich für das lange Warten und die enorme Hitzte reichlich durch das Götterspiel dieses Wundermenschen entschädigt, den was ähnliches habe ich noch nie vernommen, und ich muß wie jedermann ausrufen, daß sich sein Spiel nicht beschreiben läßt, so[n]dern durchaus muß gehört werden.
Das schöne Feuerwerk, das dieses Frühjahr abgebrant wurde, habe ich auch beigewohnt, es übertraft noch um vieles das Voranjährige in der Schönheit, der Zeichnung als auch der Farbenspielungen.
Die Giraffe wird auf den künftigen Monath für ganz gewieß hier ankommen, und wird mit großer Sehnsucht von den Wienern erwartet, das Behältniß allein, daß ihr gebaut wurde in Schönbrun kamm auf 4000 ƒ C.M. //3
Heuer ist auch eben die Ku[n]stausstellung bei St. Anna363 eröfnet; ich habe dieselbe schon zweimahl angesehen. Als ich das erstemahl hinein ging glaubte ich nur ½ Stunde mich aufzuhalten, jedoch blieb ich über 3 Stunden darin, und würde noch nicht forgegangen sein, wen die Säale nicht hätten gespärt werden müssen. Er war mir nicht möglich mich von den prachtvollen, herlichen Gemählden zu entfernen, ich wurde so sehr darüber entzückt, daß ich tagsdarauf abermahls hinein ging.
Den feierlichen Umgang am Donnerstag und die am Sontag in den Vorstädten habe ich nun auch gesehen. Ich habe die Prozesion ganz genau aus unserer Wohnung betrachtet, alsdan war es mir aber auch nicht möglich, trotz all meiner Bemühung sie nochmahl sehen zu können. Sie wird gegenwärtig einfacher gehalten, indem der Kaiser und die Kaiserin nicht mehr mitgehen, sonder[n] allein der Kronprinz. Die Uniform der ung[a]rischen Gard ist in jeder Hinsicht äußerst imposant. Von Galawägen war nichts zu sehen, jedoch habe ich die schönsten davon beim Einzug des Nunzius gesehen.
Ich habe schon 26 der vorzüglichsten Belustigungsörter in der Umgebung von Wien besucht, auch Laxenburg364 und die schöne Brüll365 zum zweitemahl angesehn. Um Dir das Schöne und Merkwürdige aller diesen Orte zu beschreiben gestattet mir der Raum nicht, soll aber mündlich zu hause geschehen. Für morgen bin ich von H. Hauser auf eine Landpartie eingeladen nach Gablitz,366 eine Meile von Wien entfernt, bei welcher auch die Haberleinische Familie und einige Kaufleut aus Triest sich befinden. Der Polizaikomisär Hauser und ich begleiten sie zu Pferd. Künftige oder nächstfolgende Woche fahre ich mit den jungen Haberlein zu Wasser nach Presburg auf 3 Tage, den Rückweg machen wir zu Land.
Ich habe den Langus schon vor einigen Wochen geschrieben, warum ertheilt er mir keine Antwort, sollte er mein Schreiben nicht erhalten haben? Ich lasse ihn schönstens grüssen, desgleich den H. Zuber & Wagner wie an alle Bekante meine Compliment zu vermälden ist. Mein Handkuß an die theuren Ältern, Dich Allerliebste und den H. Fidelio, muß ich leider nur in Gedanken umarmen und 10000de küssen. Schreibe mir ja gewiß recht bald schöner Engel.
Mit Leib und Seele ewig
Dein
unveränderlicher Bruder
Valentin
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